Reizdarm - Wie kann ich mich behandeln lassen?
„Alles war gut, ich war relativ entspannt und ich freute mich auf die Herausforderungen, die die neue Abteilung bereithielt. Doch dann holte mich die Vergangenheit wieder ein. Vorsorglich frühstückte ich am ersten Arbeitstag nicht, denn ich wusste ja, Stress begünstigt einen Ausbruch, bestimmte Lebensmittel können bei mir die Beschwerden verstärken... Doch dann, nach dem Mittagessen wurde ich von so heftigen Bauchkrämpfen geplagt, dass ich kaum gehen konnte.
Die Durchfälle im Anschluss zwangen mich mehrere Male auf die Toilette und beendeten den Arbeitstag früher als geplant. Dabei hatte ich mit meiner Ernährungsumstellung so gute Erfolge erzielt und war lange Zeit beschwerdefrei. Und nun dies...“
Viele finden sich in diesem Erfahrungsbericht wieder. Denn mehr als 12 Millionen Menschen in Deutschland leiden unter dem sogenannten Reizdarmsyndrom – einem Beschwerdebild, das sehr individuell sein kann.
Dabei haben Betroffene auch zusätzlich oft mit Vorurteilen zu kämpfen. Doch Menschen mit einem Reizdarm sind keine Hypochonder, die Beschwerden sind real, sie verursachen erheblichen Leidensdruck und beeinträchtigen die Lebensqualität. Bestimmte Triggerfaktoren können Symptome des Reizdarms auslösen oder verstärken.
Wenn auch Sie mehr zum Thema „Reizdarm“ erfahren möchten, lesen Sie weiter. Wir informieren Sie über Ursachen, Symptome und Behandlungsmethoden der quälenden und verkannten Volkskrankheit „Reizdarmsyndrom“.
Was ist ein Reizdarm?
Unter dem Begriff „Reizdarm“ werden verschiedene Beschwerdebilder zusammengefasst, die keine organische oder chemische Ursache haben. Mediziner sprechen dann vom Reizdarmsyndrom, wenn länger als 3 Wochen Bauchschmerzen, Stuhlunregelmäßigkeiten und Blähungen vorliegen und trotz eingehender Untersuchungen kein Hinweis auf eine organische oder chemische Ursache vorliegt.
In der Regel erkranken mehr Frauen als Männer am Reizdarmsyndrom, die Erkrankung kann in jedem Alter auftreten. Viele Menschen leiden nur unter gelegentlichen oder leichteren Formen des Reizdarms.
Das Reizdarmsyndrom ist die häufigste Magen-Darm-Erkrankung und kann den Alltag und die Lebensqualität der Betroffenen stark einschränken. Der Reizdarm ist jedoch nicht gefährlich und kann keine Langzeitschäden verursachen.
Welche Ursachen liegen dem Reizdarm zugrunde?
Bis heute sind die Ursachen, die für die Entstehung des Reizdarms verantwortlich sind, nicht eindeutig geklärt. Dank intensiver Forschung gelang es jedoch, verschiedene Einflussfaktoren, die bei der Entwicklung des Reizdarmsyndroms beteiligt sind, auszumachen. Sie sind entscheidend für die Art und Schwere der Symptome.
Kommunikationsprobleme zwischen den Systemen
Unser Magen-Darm-Trakt ist durchzogen von mehreren Millionen Nervenzellen. Diese nehmen Reize von Muskeln oder Drüsen wahr, wandeln sie in elektrische Impulse um und geben die Information an Nervenfasern weiter. Dort werden sie codiert, an das Gehirn geleitet und interpretiert. Bei einem Reizdarm-Patienten ist die Kommunikation in diesem vulnerablen System aus enteralem (Bauchorgane) und zentralem (Gehirn) Nervensystem gestört, sodass es beispielsweise zu Beeinträchtigungen in der Darmmotilität kommt.
Serotonin-Haushalt
Serotonin gehört zu den Botenstoffen und nimmt bei der Entstehung des Reizdarmsyndroms eine Schlüsselrolle ein. Denn dieser Neurotransmitter fungiert sowohl im enteralen als auch im zentralen Nervensystem als Mittler. Wenn der Serotonin-Haushalt gestört ist und die Konzentration im zentralen Nervensystem zu gering ist, dann führt dies zum Beispiel zu Beeinträchtigungen bei der Sekretion von Verdauungssäften, bei der Darmbewegung oder bei der Schmerzweiterleitung.
Darmmotilität
Durch die natürliche Darmbewegung (Motilität) wird der Speisebrei im Rahmen der Verdauung weitergeleitet. Bei einem Patienten mit Reizdarm kann die Motilität gesteigert oder verringert sein, was sich in Durchfällen oder Verstopfung zeigt.
Überempfindlichkeit
Die sogenannte viszerale Hypersensibilität ist eine verstärkte Wahrnehmung von mechanischen oder chemischen Reizen an der Darmschleimhaut aufgrund verdichteter Nervenfasern. Infolgedessen reagiert der Darm auf reizende Stoffe aus der Nahrung früher mit unterschiedlichen Reaktionen wie verstärkter Motilität oder Muskelkrämpfen.
Infekte
Laut Studien ist das Risiko, nach einem bakteriellen Infekt an einem Reizdarm zu erkranken, um das 8- bis 15-fache erhöht. Wissenschaftler vermuten, dass auch nach Kuration noch kleinste Entzündungen im Darm weiterbestehen und die Darmflora verändern.
Darmflora
Im Darm leben mehrere Millionen Bakterienstämme, die sich in „gut“ und „schlecht“ kategorisieren lassen. Wenn das Gleichgewicht gestört ist und die Anzahl der schädigenden Bakterienstämme über Hand nimmt, kommt es zu gastrointestinalen Beschwerden. Wissenschaftler fanden heraus, dass vor allem der Bakterienstamm „Bifido“ bei Reizdarm-Patienten stark dezimiert ist.
Barrierefunktion
Die Darmschleimhaut übernimmt, ähnlich wie die Haut, eine wichtige Barrierefunktion. Denn sie kleidet den Darm aus und grenzt dadurch den Speisebrei vom restlichen Körper ab. Bei Menschen mit Reizdarm ist die Darmschleimhaut permeabler, sodass Fremdstoffe und Krankheitserreger leichter die Darmwand passieren und ins Blut gelangen können.
Stress
Stress und andere psychische Faktoren können das Reizdarmsyndrom nicht auslösen, es jedoch reaktivieren oder verstärken. Eventuell hängt dies mit einem veränderten Serotonin-Stoffwechsel bei Stress zusammen. Auch bestimmte Zusatzstoffe in Lebensmitteln, Medikamente, Alkohol oder Nikotin verursachen Stress für den Darm und gehen mit Serotonin-Sekretion einher.
Genetik
Es existiert mit hoher Wahrscheinlichkeit kein Gen, das ein Reizdarmsyndrom auslöst, doch genetische Faktoren spielen eine Rolle bei der Entstehung. Denn gesichert ist, dass beispielsweise verschiedene Genkombinationen für die Darmmotilität oder die Stressresistenz verantwortlich sind.
Ernährung
Viele Patienten mit einem Reizdarm leiden auch unter Nahrungsmittelunverträglichkeiten. Dann können Zucker, Histamin oder andere Nahrungsbestandteile die Symptome verschlimmern. Auch falsche Ernährungsgewohnheiten können Einfluss auf den Reizdarm nehmen. Das Reizdarmsyndrom kann jedoch nicht ausschließlich durch die Ernährung entstehen.
Reizdarm Symptome
Der Reizdarm hat viele Gesichter. Betroffene leiden unter verschiedenen gastrointestinalen Beschwerden, die gleichzeitig oder abwechselnd auftreten können. Die Symptome treten häufig nach den Mahlzeiten auf, bestehen über lange Zeit und wirken sich belastend auf den Alltag und das Lebensgefühl aus. Hinzu kommen bei manchen Betroffenen auch andere Beeinträchtigungen, wie Schlafstörungen oder Kopfschmerzen.
Reizdarm und Durchfall
Bei vielen Menschen ist die Motilität des Darms erhöht, was sich in Durchfällen zeigt. Sie berichten über mehr als 3 flüssige Stuhlgänge pro Tag und einem starken Entleerungsdruck. Bei manchen Menschen wechseln Durchfälle und Verstopfung ab. Durchfall kann jedoch auch andere Ursachen, beispielsweise Bakterien, Viren oder Parasiten sowie andere Darm- oder systemische Erkrankungen, haben.
Reizdarm und Verstopfung
Leiden Betroffene unter Verstopfung, können sie weniger als 3 mal pro Woche zur Toilette gehen und klagen zudem über sehr harten Stuhl sowie schmerzhafte Stuhlentleerung. Auch Verstopfung kann Symptom einer anderen Erkrankung sein und muss deshalb medizinisch abgeklärt werden.
Reizdarm und Bauchschmerzen
Schmerzen zählen zu den Leitsymptomen bei Reizdarm. Die Bauchschmerzen können jedoch an unterschiedlichen Stellen auftreten und dauerhaft, krampfartig, dumpf oder stechend sein. Bauchschmerzen entstehen meist durch die gereizte Darmschleimhaut, die Dehnung der Darmwand durch vermehrte Gasbildung und einer erhöhten Motalität. Hinzu kommt in vielen Fällen eine viszerale Hypersensibilität, sodass mechanische oder chemische Reize im Darm schmerzhaft empfunden werden.
Reizdarm und Blähungen
Wenn die Bildung von Gasen im Darm über das normale Maß hinausgeht, dann werden sie zum Problem. Denn dadurch bläht sich bei vielen Betroffenen der Bauch so sehr, dass er sichtbar aufgetrieben und gespannt ist. Viele Betroffene berichten, dass sie vor dem Schlafengehen 2 Kleidergrößen mehr haben als in den Morgenstunden. Blähungen und Blähbauch sind aber nicht nur unangenehm, sondern auch mit schmerzhaft.
Reizdarm behandeln
Es gibt keine allgemeingültige Therapie bei Reizdarmsyndrom. Doch die Beschwerden lassen sich mit einigen Methoden deutlich lindern.
Welche Behandlung bei den einzelnen Betroffenen zum Erfolg führt, hängt nicht nur von den auslösenden Faktoren, sondern auch von den Symptomen ab.
Ernährung
Wie bei anderen Erkrankungen des Verdauungstraktes auch, kann man beim Reizdarmsyndrom die Symptome mit der richtigen Ernährung lindern und das Wohlbefinden deutlich steigern.
Bei akuten Beschwerden hat es sich bewährt, für kurze Zeit auf Schonkost umzusteigen. Zwieback, Tee, Suppe und Brühe entlasten das Verdauungssystem, beruhigen die Darmnerven und helfen beim Aufbau einer gesunden Darmflora. Schon nach wenigen Tagen sollten Sie jedoch wieder normale Kost zu sich nehmen.
Empfehlenswert ist es, Vollkornprodukte, Gemüse, Obst und laktosefreie Milchprodukte in den Speiseplan zu integrieren. Leicht vergärbare Kohlehydrate, überreifes Obst, blähendes Gemüse, laktosehaltige Milchprodukte, Zuckerersatzstoffe sowie säurehaltige Getränke hingegen gilt es zu vermeiden. Die meisten Menschen mit Reizdarm profitieren von der sogenannten FODMAP-Diät, einer speziellen Kost, die genau die verstärkenden Lebensmittel meidet.
Da bei einigen Patienten mit Reizdarm auch die Darmflora verändert ist, regen Probiotika mit Bifidobakterien dazu an, ein gesundes Gleichgewicht im Darm wiederherzustellen.
Jeder Mensch reagiert jedoch anders auf Lebensmittel und Getränke, deshalb ist es sinnvoll, ein Tagebuch zu führen. So können Sie schnell erkennen, was Ihnen bekommt und was nicht. Zudem sehen Sie, welche Zusammenhänge zwischen bestimmten Lebensmitteln und den Essgewohnheiten bestehen.
Lebensweise
Dass sich Rauchen, Alkohol und psychischer Stress negativ auf die Gesundheit auswirken, ist hinlänglich bekannt. Doch es gibt auch eine direkte Korrelation zwischen körperlichem oder psychischem Stress und Reizdarm-Beschwerden. Deshalb ist es ratsam, physischen und psychischen Stress zu reduzieren.
Daher kann es sinnvoll sein, durch kognitive Verhaltenstherapie, Biofeedback, Entspannungsübungen, Yoga oder Meditation bewusst zu entspannen und ungünstige Verhaltensweisen zu hinterfragen sowie abzulegen. Nicht nur der Darm, auch andere Organe profitieren davon, wenn weniger Stresshormone und andere schädigende Substanzen durch unseren Körper strömen.
Zudem ist es empfehlenswert, auf ausreichend Schlaf und Bewegung zu achten. Denn körperliches Wohlbefinden stellt sich auch dann ein, wenn Sie sich regelmäßig körperlich betätigen.
Zudem lindert leichter Sport auch die Symptome der Verstopfung. Wenn Sie sich 2 bis 3 mal pro Woche körperlich bewegen, wird auch Ihr Schlaf tiefer und bringt mehr Erholung. Dies wiederum wirkt sich auf die Stresstoleranz aus und unterstützt Entspannungsmaßnahmen.
Medikamente
Bisher existiert kein Medikament, das die Ursachen des Reizdarmsyndroms wirksam behandelt. Allerdings lassen sich die Symptome zuverlässig lindern.
Krampflösende Mittel kommen bei krampfartigen Bauchschmerzen in Frage. Entschäumer können Gase bei Blähungen lindern, indem sie die Oberflächenspannung der Gasbläschen noch im Darm reduzieren und diese dadurch auflösen. Darmlähmer werden bei Durchfall eingesetzt. Flohsamenschalen oder Leinsamen sind lösliche Ballaststoffe und helfen gegen Obstipation. Laxantien helfen bei Verstopfung, wenn andere Mittel keine Wirkung zeigen.
Symptomlinderung
Bei Durchfall:
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ausreichend trinken, z. B. Schwarzen Tee
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stopfende Lebensmittel wie trockene Nudeln, Reis, Bananen oder zerriebene Äpfel
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Bifidobakterien
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ggf. Elektolytlösungen
Bei Obstipation:
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viel trinken
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ausreichend bewegen
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ballaststoffreich essen
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Darmtraining
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Bauchmassagen mit Kümmelöl
Bei Blähungen:
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Kamille-, Kümmel- oder Fencheltee trinken
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leichte Bewegung
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FODMAP
Bei Bauchschmerzen:
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Ruhe und Wärme
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krampflösende Mittel
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Entspannungsübungen
Verlauf und Prognose
„Früher litt ich über lange Zeit unter den Beschwerden, das Reizdarmsyndrom hatte sich chronifiziert. Dadurch war ich erheblich in meinem Alltag beeinträchtigt. Einkaufen gehen, mit Freunden grillen, Kaffeetafel bei der Familie oder arbeiten – das alles wurde zur Herausforderung.
Doch seit ich genau weiß, was genau meine Symptome auslöst, kann ich viel besser agieren. Durch gezielte Verhaltensveränderungen, Ernährungsanpassung und eine Entspannungstherapie bin ich sogar zeitweise beschwerdefrei. Und das macht mir Hoffnung.“
Etwa 1/3 aller Betroffenen können durch gezielte Therapiemaßnahmen die Beschwerden lindern oder heilen. Wenn das Reizdarmsyndrom allerdings über einen langen Zeitraum besteht, sind die Prognosen schlechter. Dann können die chronischen Symptome eine Behandlung erschweren und verzögern.
Die Erfahrung bei Reizdarm zeigt: Warten Sie nicht zu lang.
Fazit
Das Reizdarmsyndrom ist eine Krankheit, die sich durch Bauchschmerzen, Stuhlunregelmäßigkeiten und Blähungen darstellt. Bei manchen Betroffenen wechseln die Symptome, bei anderen treten mehrere gleichzeitig auf. Die Beschwerden sind oft so gravierend, dass sie den Alltag stark einschränken.
Auch wenn bisher keine eindeutige Therapie zur Behandlung des Reizdarms existiert, so können Betroffene vor allem durch Eigeninitiative viel bewirken. Ob Ernährungsumstellung, Stressreduktion, Bewegung oder Probiotika – die Möglichkeiten sind vielfältig und richten sich vor allem nach den Leitsymptomen und dem Ausmaß.