Schlafwandeln (Somnambulismus): Schlafstörung mit vielen Mythen

Über das Schlafwandeln gibt es viele Mythen und Gerüchte. Das hängt unter anderem damit zusammen, dass die Symptome so alt sind wie die Menschheit. Früher dachte man, es handele sich um sogenannte Mondsüchtigkeit oder Lunatismus, bei dem Betroffene versuchen würden, dem Mondlicht zu folgen. Heute ist dieser Mythos nicht mehr zu halten. Vielmehr ist die Häufung von Schlafwandel-Ereignissen vermutlich schlicht und einfach der Tatsache zuzuschreiben, dass es nachts in früheren Zeiten keine anderen Lichtquellen gab als den Mond. Lichtreize können nämlich tatsächlich dazu führen, dass der Betroffene aus seiner Tiefschlafphase erwacht. Das ist soweit auch noch völlig normal, denn die meisten Menschen werden wach, wenn es um sie herum hell wird oder andere Reize (z. B. Lärm) auf sie einwirken. Schlafwandler werden allerdings nicht vollständig wach. Teile des Gehirns schlafen weiter, während der Körper vom Schlafgeschehen entkoppelt ist.

 

Die Schlafstörung ist eigentlich eine Aufwachstörung

Der Fachbegriff für teilweises Erwachen aus dem Tiefschlaf ist Parasomnie. Das Bewusstsein ist noch nicht wieder da (oder nur eingeschränkt aktiv) und der Körper führt Handlungen aus, die üblicherweise nur während des Wachzustands gemacht werden.

Typische Symptome des Schlafwandelns

  • im Bett aufsetzen

  • Kieferbewegungen bzw. Kauen

  • Herumhantieren an Frisur oder Kleidung

  • Aufstehen und Herumlaufen

  • Putzen und sogar Kochen

  • Selbstgespräche

  • Essen von Nahrung (Kühlschrank-plündern-Syndrom)

  • Rufen und Schreien

All diese Symptome haben gemeinsam, dass der von Parasomnie betroffene Mensch nichts von seinen Aktivitäten mitbekommt. So unglaublich es klingt, aber es gibt Menschen, die bereiten ein komplettes Essen vor und erinnern sich am nächsten Morgen nicht mehr daran. In der Mehrzahl der Fälle bleiben derart komplexe Handlungen aber die Ausnahme. Die meisten Schlafwandler beschränken sich auf unruhige Bewegungen im Bett oder laufen in der Wohnung umher. Wie lange die einzelnen Symptome andauern, ist unterschiedlich. Im Durchschnitt dauert eine Episode Schlafwandeln aber nicht länger als ein paar Minuten. Findet der Betroffene zurück ins Bett, weiß er nach dem Aufwachen meist gar nicht mehr, dass er überhaupt umhergelaufen ist. Andere werden am Küchentisch wach und wundern sich über das angerichtete Chaos. Was zunächst amüsant klingt, kann aber auch Gefahren mit sich bringen.

 

Gefahren des Schlafwandelns

Wer schlafwandelt, besitzt keine spezielle „traumwandlerische“ Sicherheit, wie fälschlicherweise oft angenommen wird. Tatsächlich ist die Gefahr relativ groß, dass Schlafwandler sich verletzen. Dies gilt umso mehr, je unbekannter ihre Umgebung ist. Finden sie innerhalb des Schlafzimmers meist wieder von allein ins Bett zurück, kann es durchaus auch dazu kommen, dass jemand das Haus verlässt und ziellos auf den Straßen umherwandelt. Dieses Nachtwandeln ist selbstverständlich sehr gefährlich für den Patienten, da er stürzen kann, sich an gefährlichen Gegenständen verletzen kann oder im Extremfall Opfer eines nächtlichen Verkehrsunfalls wird. Die Vorstellung, dass Schlafwandler auf dem Dach balancieren, um dem Mond zu folgen, dabei aber nicht herunterfallen, ist gefährlicher Irrglaube. Wer weiß, dass er zum Schlafwandeln neigt, sollte also bestimmte Vorsichtsmaßnahmen ergreifen. Für Alleinstehende ist das etwas schwieriger als für Menschen, die mit anderen zusammen in einer Wohnung leben. Aber auch dann bleibt das Schlafwandeln von den anderen (die sich selbst im Tiefschlaf befinden) oft völlig unbemerkt.

 

Sichern der Wohnung

  • Haustür und andere leicht zugängliche Ausgänge gut verschließen (wenn möglich abschließen).

  • Fenster und Balkontüren ebenfalls mit Schlössern sichern. Denken Sie daran, dass Schlafwandler auch komplexe Handlungen vornehmen können; einen Fenstergriff zu betätigen ist nicht schwierig.

  • Im Extremfall können Gitter vor Fenstern helfen

  • Zugänge zum Dachboden auf jeden Fall sichern, auch wenn es nur selten vorkommt, dass ein Schlafwandler tatsächlich aufs Dach steigt.

  • Verletzungsgefahren im Haushalt identifizieren und ggf. abpolstern. Dazu zählen scharfkantige Gegenstände, Werkzeuge, Treppenabgänge, Türrahmen etc. Insbesondere die Küche sollte abgeschlossen oder elektrische Geräte anderweitig gesichert werden. Nachts unbewusst am Herd zu hantieren, ist mehr als gefährlich.

 

Welche Ursachen hat das Schlafwandeln?

Der Somnambulismus, wie das Schlafwandeln auch genannt wird, zählt wie gesagt zu den Schlafstörungen (oder genauer: Aufwachstörungen). Nur selten findet sich eine körperliche Ursache, wie etwa eine verdeckte Epilepsie oder andere Erkrankungen des Gehirns. In diesen Fällen kann eine Behandlung der zugrundeliegenden Erkrankung (z. B. eine Tumoroperation oder Behandlung der Epilepsie) auch das Schlafwandeln beseitigen. Seltener hängen die Effekte mit bestimmten Medikamenten zusammen. So ist bekannt, dass manche Schlafmittel oder Antidepressiva Schlafwandeln und ähnliche Symptome (bis hin zum unangemessenen Verhalten und aggressiven Handlungen) auslösen können. In dem Falle sollte die Medikation entsprechend angepasst werden. In fast allen Fällen ist die Parasomnie bzw. das Schlafwandeln psychisch bedingt. Dann können bestimmte Ereignisse (Geräusche, Lichtreize, Berührungen) dazu führen, dass der Betroffene nur teilweise aus dem Schlaf erwacht. Der Schlafprozess wird also nicht vollständig unterbrochen. Teile des Gehirns schlafen weiter. Das ist selbst dann der Fall, wenn der Patient die Augen während des Schlafwandelns geöffnet hat, was zu Verwirrungen bei Menschen führt, die erstmals Zeugen des Schlafwandelns werden. Meist findet das Nachtwandeln in der ersten Nachthälfte statt, wenn die Tiefschlafphasen intensiv ablaufen. Aus diesen kann man ohnehin nur schwer geweckt werden. Neben den ungeklärten Ursachen scheint es aber auch bestimmte Auslöser zu geben, die das Schlafwandeln im Einzelfall triggern können. Dazu zählen unter anderem:

  • äußerliche Reize (Geräusche oder Licht)

  • Stress

  • Schlafentzug

  • Schmerzen

  • starker Harndrang

  • Alkohol, bestimmte Medikamente

  • Fieber

 

Entkopplungsstörung zwischen Muskulatur und Gehirn

Typisch für Schlafwandler ist eine Entkopplungsstörung. Eigentlich sorgt die Entkopplung von Muskulatur und Gehirn beim Schlafen dafür, dass trotz intensiver Gehirnaktivität (z. B. beim Träumen) der Körper keine Handlungen ausführt. Evolutionär hat das einen guten Grund: Tiere (und auch die menschlichen Vorfahren), die früher auf Bäumen oder ähnlich gefährlich hohen Orten geschlafen haben, um vor Feinden sicher zu sein, wären bei allzu lebhaften Träumen ständig heruntergefallen. Der Körper sorgt also dafür, dass unser Gehirn sehr aktiv sein kann, während die willkürlich steuerbaren Muskeln lahmgelegt sind. Dies könnte übrigens auch das Phänomen erklären, dass viele Menschen in Träumen das Gefühl haben, nicht von der Stelle zu kommen, wenn sie vor etwas weglaufen möchten. Die Beine bewegen sich dann einfach nicht und diese Rückmeldung könnte es bis in den Traum schaffen.

Bei Schlafwandlern ist es umgekehrt: Da findet die Entkopplung unvollständig oder überhaupt nicht statt. Träumt der Betroffene also, dass er Hunger hat und in die Küche gehen möchte, um sich ein Brot zu schmieren, stehen die Chancen gut, dass er diese Handlungen unbewusst auch tatsächlich ausführt. Dass sich Schlafwandler später selten an ihre Taten erinnern, ist ebenfalls schnell erklärt: Schließlich vergessen wir den Großteil unserer Träume auch wieder, ohne uns je daran erinnern zu können.

Das bedeutet also: Schlafwandler sind weder verrückt noch dämlich, sondern leiden schlicht unter einer Aufwachstörung, die mit einer Entkopplungsstörung einhergeht.

 

Welche Personengruppen sind am stärksten vom Schlafwandeln betroffen?

Der Großteil der Nachtwandler zeigt die Symptome nur während der Kindheit. Genaue Zahlen kann man nur schwer ermitteln, aber Fachleute schätzen, dass knapp ein Drittel aller Kinder zwischen vier und sechs Jahren mindestens einmal durch Schlafwandeln auffällt. Dabei scheint das Phänomen Jungen stärker zu betreffen als Mädchen. Wie lange die Störung anhält, ist unterschiedlich. Knapp ein Fünftel der Patienten schlafwandelt auch noch als Jugendliche, während bei Erwachsenen weniger als fünf Prozent als Schlafwandler eingeschätzt werden. Da viele Schlafwandler von ihren Symptomen allerdings lange Zeit gar nichts mitbekommen (z. B. wenn sie alleine leben), gibt es Potenzial für eine gewisse Dunkelziffer. Bei Kindern und Jugendlichen scheinen die Zahlen hingegen einigermaßen zutreffend zu sein. Das Altersgefälle legt den Schluss nahe, dass die Entwicklung des zentralen Nervensystems irgendwie am Schlafwandeln beteiligt ist.

Hinweis: Schlafwandeln kann auch die Ausprägung eines epileptischen Anfalls sein. In diesen Fällen treten aber in der Regel auch tagsüber entsprechende Symptome auf. Erwachsene, die vorher nie als Schlafwandler aufgefallen sind und plötzlich entsprechende Vorfälle bemerken, sollten unbedingt abklären lassen, ob eine neurologische Störung hinter den Symptomen steckt.

 

Was können Betroffene und Angehörige bei Schlafwandeln tun?

Zunächst mal das Wichtigste: Schlafwandler sollten nicht ohne triftigen Grund aufgeweckt werden. Auch direkter Augenkontakt kann dazu führen, dass Betroffene sehr plötzlich aufwachen. Wenn man daran denkt, wie unangenehm und desorientierend es sein kann, aus dem Tiefschlaf hochzuschrecken, kann man sich vorstellen, wie der Effekt für Schlafwandler sein muss. Die Desorientierung kann dazu führen, dass sie sich stark erschrecken, stürzen und in der Folge verletzen. Auch Gereiztheit und aggressives Verhalten können auftreten und somit die aufweckende Person ebenfalls gefährden. Besser ist es, Schlafwandler sanft wieder in Richtung Bett zu manövrieren, wenn das möglich ist. Man darf Schlafwandler auch ansprechen, dann aber bitte ruhig und nicht zu laut. Massiv eingreifen sollte man nur, wenn die Verletzungsgefahr durch Untätigkeit größer ist als durch das Aufwecken. Das wäre zum Beispiel der Fall, wenn der Betroffene direkt auf einen Gartenteich oder eine stark befahrene Straße zuläuft. Nochmal zur Erinnerung: Wenn die Neigung zum Schlafwandeln bekannt ist, sollten unbedingt Maßnahmen zur Wohnungssicherung ergriffen werden.

 

Therapien gegen Schlafwandeln

Sieht man von den Fällen ab, in denen eine klare Ursache (z. B. Anfallsleiden, Hirntumor, Hirnverletzung, Medikamente oder Stoffwechselstörung) ausgemacht werden kann, ist eine ursächliche Therapie des Schlafwandelns nicht verfügbar. Da es allerdings gewisse Auslöser gibt, die das Phänomen begünstigen, lässt sich doch einiges unternehmen. Ganz oben stehen Maßnahmen zur Stressbewältigung. Hier können autogenes Training und Selbsthypnose ebenso helfen wie progressive Muskelentspannung. Auch eine professionelle Hypnose kann in Erwägung gezogen werden. Das hat nichts mit Jahrmarkt-Hokuspokus zu tun, sondern kann unter Umständen eine angebrachte psychologische Therapie darstellen. Zudem können Betroffene versuchen, die sogenannte Vorsatzbildung zu erlernen. Dabei wird ein bestimmter Reiz verinnerlicht, der dem Unterbewusstsein das Signal gibt, wieder ins Bett zu gehen. Das kann zum Beispiel der Körperkontakt zwischen Füßen und Fußboden sein.

 

Medikamente gegen Schlafwandeln

Manchmal reichen die obigen Maßnahmen nicht aus oder wirken überhaupt nicht. In diesen Fällen können bestimmte Medikamente zum Einsatz gebracht werden, die das Schlafwandeln unterbinden sollen. Das ist jedoch nicht ganz unproblematisch, da die meisten Wirkstoffe ihrerseits zu Schlafproblemen führen können. Zur Verfügung stehen beispielsweise Schlafmittel aus der Gruppe der Benzodiazepine, bestimmte trizyklische Antidepressiva und Wirkstoffe, die eine Wiederaufnahme des Hormons Serotonin verhindern. Eine langfristige Anwendung ist insbesondere bei den Schlafmitteln genau abzuwägen, zumal einige Präparate selbst Schlafwandeln auslösen können. Es kann Wochen oder Monate dauern, bis sich ein Erfolg einstellt. Eine Wiederholung der Behandlung ist beim Schlafwandeln ebenfalls oft notwendig. Ein Trost ist für viele Betroffene, dass die Symptome mit zunehmendem Alter in der Regel verschwinden. Ernst nehmen sollte man das Schlafwandeln aber in jedem Fall, denn die damit verbundene Verletzungsgefahr ist nicht zu unterschätzen.

 

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